Esther Straub
Esther Straub und Gottfried Härle (v.r.n.l.) ©  Esther Straub

In der Idylle des württembergischen Allgäus liegt die Gemeinde Leutkirch, die laut Wetterdienst zu den sonnigsten Orten Deutschlands zählt. Vielleicht hat es mit ihrem sonnigen Gemüt zu tun, dass Esther Straub genau hier voller Zuversicht und Tatendrang die Nachfolge bei einer Traditionsbrauerei angetreten hat. Als junge Frau, in einer von Männern dominierten Branche. Ohne verwandtschaftliche Beziehung zur Gründerfamilie und ohne vorherige Erfahrung auf diesem Gebiet. Dafür mit einer gehörigen Portion Optimismus und großen Zielen.

Zu diesen Zielen gehören für sie wie selbstverständlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz sowie gesellschaftliche und unternehmerische Verantwortung. Und auch das Tandemkonzept der Brauerei Härle als Nachfolgestrategie. „Es hat sich schließlich absolut bewährt“, sagt sie. Gemeinsam mit Gottfried Härle, dem Brauereierben und vorherigen alleinigen Geschäftsführer, leitet Esther Straub seit gut sieben Jahren die Geschicke. In dieser Zeit ist der Bierausstoß der Brauerei weiter gestiegen, während der Absatz der Brauereien in ganz Deutschland um etwa zehn Prozent zurückging.

Schwäbische Sturheit oder Idealismus?

Die Brauerei beschreibt sie als „wirklich anders als alle anderen“. „Ich weiß nicht, ob es schwäbische Sturheit oder Idealismus ist, wahrscheinlich ein Mix aus beidem“, erklärt sie schmunzelnd. „Es ist tatsächlich so, dass wir gerne Dinge tun, die wir richtig finden. Wir agieren nicht nur rein betriebswirtschaftlich nach Zahlen, sondern haben einen ökologischen und nachhaltigen Ansatz. Wir sind bereits seit 2009 – als erste Brauerei Deutschlands – klimaneutral. Das war noch vor dem Trend und bevor es Zuschüsse gab“, lobt Esther Straub das grüne Engagement ihres Vorgängers und Wegbereiters.

Bereits 2010 gehörte Härle beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis zu den drei nachhaltigsten Unternehmen hierzulande. Mittlerweile arbeitet die Brauerei ausschließlich mit regenerativen Energien und hat dafür den Deutschen Solarpreis erhalten. „Wir bekennen uns auch zur Region und damit zu kurzen Transportwegen“, ergänzt Straub. „Wir handeln mehr aus Überzeugung als aus monetären Aspekten. In Zeiten des Klimawandels ist es wichtig, nicht nur verantwortungsvoll zu wirtschaften, sondern auch verantwortungsvoll zu handeln. Mein Ziel ist es, die Brauerei zu erhalten und sie ebenfalls an die nächste Generation zu übergeben.“

Das könne sie nicht, indem sie die Brauerei als Insel betrachte, sondern indem sie diese als Netzwerk sehe. Ein Netzwerk aus Lieferanten, Kunden, Natur, Umwelt und dem Klima, um das es sich gut zu kümmern gelte. Diese Einschätzung und auch die Vision teilt sie mit Ihrem Vorgänger und Mentor Gottfried Härle. Sie sei froh, dass die Grundausrichtung schon so gewesen sei, wie sie es sich vorgestellt habe.

An Gottfried Härle schätzt sie vor allem seinen Mut und sein Vertrauen. „Was mich an ihm inspiriert, ist, dass er ein großartiges Vorbild ist. Vor allem darin, seinen eigenen Kopf nicht zu verlieren. Er sagt immer, er gebe seine persönlichen Werte nicht an der Unternehmenstür ab, und das finde ich sehr mutig. Ich kenne wenige Unternehmen, die das so durchziehen. Dadurch lerne ich sehr viel und es macht mir selbst Mut, mich für Themen einzusetzen. Sein Verdienst ist es auch, dass unser Unternehmen grün ist und nicht nur das Marketing.“ Dass er trotz seiner Erfahrung nicht darauf bestehe, das letzte Wort zu haben, erlaube es ihr, sich weiterzuentwickeln.

Gewinn des „she succeeds award“ 2021 für erfolgreiche Unternehmensnachfolge

In der Tat ist Gottfried Härle ein vorbildlicher Wegbereiter. 2021 erhielt er für sein erfolgreiches Nachfolgecoaching den she succeeds award des Verbandes deutscher Unternehmerinnen (VdU), der vom Bundeministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert wird. Der Preis würdigt erfolgreiche Nachfolgerinnen in bereits bestehenden Unternehmen sowie die Alt-Inhaberinnen und -Inhaber. „Mir die Nachfolge zuzutrauen, ehrt ihn und macht mich stolz. Er hat mich auch schon früh in Fragen rund um Marketing, Strategie und Personal miteinbezogen und so das Band ganz ohne Druck gestärkt.“

Denn obwohl Esther Straub als Nachbarsmädchen der Familie Härle schon während ihrer Schulzeit in der zur Brauerei gehörenden Kleinkunstbühne aushalf, war nie klar, dass sie das Unternehmen einmal führen würde. „Ich habe früh gespürt, dass Gottfried das gerne hätte, aber ich wollte eigentlich immer raus und auch im Ausland studieren“, sagt Straub, die zunächst in Passau und Istanbul ihren Master in Staatswissenschaften machte. „Danach wollte ich auch meinen zweiten Master am Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen abschließen, um mehr Expertise zu bekommen. Speziell die Bereiche Nachfolge sowie Strategie & Family Governance fand ich enorm hilfreich. Sich dort auch mit anderen Studierenden auszutauschen, die ein Familienunternehmen übernehmen wollen, hat uns in der Brauerei das eine oder andere Problem erspart.“

Mitglied im Mittelstandsbeirat des BMWK

Ein Defizit habe die deutsche Wirtschaft bei weiblicher Nachfolge. Es gebe einfach zu wenige Frauen, die Unternehmen übernehmen, da ist sie sich mit den Expertinnen und Experten einig. Um das zu ändern, setzt sich Esther Straub für mehr Frauenpower in der Unternehmensnachfolge ein und ist Mitglied im Mittelstandsbeirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Dort teilt sie ihre Ideen und Sorgen mit Bundesminister Dr. Robert Habeck. Neben dem Fachkräftemangel liege ihr im Besonderen das Thema Gleichberechtigung am Herzen, speziell Mutterschutz und Elterngeld sowie das Krankentagegeld für selbstständige Frauen.

Bei Härle habe sie auch zu Beginn ihrer Tätigkeit keine Probleme als Frau in einer Führungsrolle gehabt. Obwohl der durchschnittliche Unternehmer in Schwaben 50,8 Jahre alt und männlich sei, werde sie akzeptiert: „Ich merke aber extern schon, was wahrscheinlich vielen Frauen in Führungsrollen passiert, dass manche zuerst irritiert sind, mir einiges vielleicht nicht zutrauen“, räumt sie ein. „Ich werde aber lieber unter- als überschätzt. Damit müssen sich wohl viele Frauen auseinandersetzen. Ich bin inzwischen recht schlagfertig; das hilft.“

Schlagfertig und mit Überzeugung berichtet sie auch davon, dass sich die Kommunikation im Unternehmen seit ihrem Einstieg geändert habe. „Wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter miteinander sprechen, ist mir sehr wichtig. Die Themen Fortbildung sowie Frauenförderung sind bei mir auch mehr im Fokus als in der Vergangenheit. Wir haben inzwischen drei Brauerinnen und halten Workshops speziell zur Absicherung von Frauen ab, denn Altersarmut ist weiblich.“

Obwohl der Prozess einer Unternehmensübergabe nicht einfach ist, sieht Esther Straub keine Konflikte zwischen alten und neuen Herangehensweisen. „Wir beide sind offen für Neues, das macht es einfacher“, sagt sie. „Ich hoffe, ich kann noch lange von ihm profitieren. Wir kommunizieren viel und haben beide eine große Leidenschaft für das Unternehmen. Wir sind froh, dass der andere da ist. Ich schätze seine Erfahrung und er neue Impulse. Es ist ein Privileg, sich auf Augenhöhe austauschen zu können und die gegenseitige Wertschätzung zu spüren.“

Wertschätzung ist bei Härle auch mit dem Umgang von Ressourcen und Natur verbunden. „Wir werden den Ökoanteil unserer Brauerei weiter ausbauen und auch weiter investieren, um noch energieeffizienter zu werden“, sagt sie aus Überzeugung. Überzeugend ist auch Straubs Tipp an Gründerinnen und Gründer bzw. Menschen, die eine Unternehmensnachfolge antreten wollen: „Ich würde jeder und jedem raten, sich zu trauen, neugierig zu bleiben und die Dinge einfach anzugehen.“ Notfalls müsse man im Prozess gegensteuern. Es sei menschlich und vielleicht auch mehr weiblich, dass man zweifle. Aber entscheidend sei, dass man anfange, etwas umzusetzen.

Stand: März 2023