Frau Nierzwiki, dass Sie die Bernd Ginsberg GmbH irgendwann einmal übernehmen würden, war Ihnen schon länger klar, oder?
Nierzwiki: Na ja, ich war fast von Anfang an, seit 2002, als Prokuristin bei der Bernd Ginsberg GmbH beschäftigt. Da lag es einfach nahe, dass ich den Betrieb irgendwann übernehmen und weiterführen würde. Die Alternative wäre gewesen, das Unternehmen an einen großen Mitbewerber zu verkaufen, aber dann wären vermutlich die meisten Arbeitsplätze inklusive meines eigenen verloren gegangen. Als mich Herr Ginsberg daher vor etwa fünf Jahren gefragt hat, ob ich mir vorstellen könnte, Geschäftsanteile der GmbH zu übernehmen und das Unternehmen übergangsweise zunächst mit ihm gemeinsam zu leiten, habe ich relativ schnell ja gesagt. Wenn er dann in den Ruhestand geht, was hoffentlich erst in vielen Jahren passieren wird, ist es das Ziel, das Unternehmen komplett zu übernehmen.
Ihr Unternehmen bietet medizinische Produkte und Dienstleistungen an. Um welche Produkte geht es?
Nierzwiki: Wir sind ähnlich wie ein Sanitätshaus aufgestellt und bieten Beratung für die häusliche und stationäre Pflege an. Dabei haben wir uns auf Stomaversorgung, Inkontinenz, Wundversorgung, enterale Ernährung und Diabetikerversorgung spezialisiert. Zu unseren Kunden gehören Kliniken, Pflegedienste, Altenheime, aber auch Patienten zu Hause. Die befinden sich alle hier in der Region Siegen.
Wie haben Sie sich auf Ihre Rolle als Chefin vorbereitet?
Happich: Ich habe alle Informationen gesammelt, die ich bekommen konnte. Die Industrie- und Handelskammer Siegen hat mich dabei zum Beispiel sehr gut unterstützt. Eine große Hilfe waren auch die Gespräche mit dem Nachfolgeberater der IHK. Der hat immer wieder kritisch hinterfragt, wieso ich das machen will und welches Ziel ich verfolge, so dass ich mich wirklich intensiv mit dem ganzen Thema auseinandergesetzt habe. Hinzu kamen die Unternehmensnachfolgeveranstaltungen der IHK. Profitiert habe ich aber auch von den vielen Gesprächen mit meiner Steuerberaterin sowie mit der KfW-Förderberatung.
Wie sind Sie an die Unternehmensbewertung und Preisfindung herangegangen?
Nierzwiki: Das war tatsächlich nicht so einfach. Wir wollten eine Einschätzung von jemand Unabhängigen. Also haben wir einen Unternehmensberater und einen Steuerberater gefragt und darüber hinaus eine IHK-Veranstaltung zur Unternehmensbewertung besucht. Aber wie es immer so ist: Drei Leute, fünf Meinungen. Also haben wir uns letztendlich zu zweit zusammengesetzt. Ich habe Herrn Ginsberg gesagt, wie viel ich bereit bin zu bezahlen und er hat mir seine Vorstellungen genannt. Und so sind wir uns dann nach kurzer Zeit einig geworden.
Bei der Unternehmensbewertung und Preisfindung können ja durchaus unterschiedliche Vorstellungen aufeinanderprallen, aber bei Ihnen scheinen die Verhandlungen sehr harmonisch verlaufen zu sein.
Nierzwiki: Definitiv. Da ist nicht ein negatives Wort gefallen. Herr Ginsberg hat immer gesagt: „Vera, sag‘ mir, ob du dich dabei wohlfühlst? Wenn es nicht geht, bin ich dir auch nicht böse.“ Dann habe ich mit meiner Familie darüber gesprochen und überlegt, bei welcher Summe ich noch ruhig schlafen kann. Die habe ich Herrn Ginsberg mitgeteilt und dann war das irgendwann in Sack und Tüten. Finanziert habe ich das Ganze dann über ein Darlehen meiner Hausbank.
Was sagen eigentlich Ihre Kollegen und Kunden dazu, dass es jetzt eine neue Chefin gibt?
Nierzwiki: Das klappt gut, zumal ich ja vorher schon als Prokuristin hier eine Führungsposition innehatte. Dazu gehörte auch die Personalleitung. Von daher ist das für unsere 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine große Umstellung. Bei den Kunden und Geschäftspartnern ist das etwas anders. Das liegt auch daran, dass das Unternehmen Bernd Ginsberg GmbH heißt. Das heißt, wenn jemand nach dem Chef fragt, geht er davon aus, dass das immer noch ausschließlich Herr Ginsberg ist. Das war anfangs etwas schwierig. Aber jetzt, drei Jahre nachdem ich die Nachfolge angetreten habe, läuft es eigentlich ganz rund.
Wollen Sie denn den Unternehmensnamen beibehalten, auch wenn Herr Ginsberg irgendwann ganz ausscheidet?
Nierzwiki: Ja, auf jeden Fall. Der Name ist etabliert und bekannt. Da würde ich mir keinen Gefallen tun, daran etwas zu ändern.
Sie kennen den Betrieb sehr gut. Gibt es Dinge, die Sie zukünftig ändern möchten?
Nierzwiki: Wir haben das Unternehmen eigentlich von Anfang an kontinuierlich an die Markterfordernisse und die gesundheitspolitischen Entwicklungen angepasst. Digitalisierung 4.0 ist zurzeit das große Stichwort. Aber auch das ist ein fortlaufender Prozess. Es ist jedenfalls nicht so, dass ich sage, sobald Herr Ginsberg im Ruhestand ist, kremple ich den ganzen Laden um. Dadurch, dass ich schon seit Jahren hier als Prokuristin tätig war und das Unternehmen – auch wenn es mir nicht gehört hat – mit aufgebaut habe und wir Entscheidungen immer gemeinsam getroffen haben, gibt es keine strittigen Punkte, bei denen ich sagen würde, ich mache zukünftig alles anders.
Gibt es etwas, das Sie anderen nachfolgeinteressierten GründerInnen empfehlen würden?
Nierzwiki: Ja. Alle Hilfen und Informationen, die es zum Thema Nachfolge gibt, mitnehmen. Ganz wichtig ist auch, auf seinen Bauch zu hören. Wenn die Entscheidung im Kopf gefallen ist und der Bauch sagt „ich fühle mich damit nicht wohl“, sollte man die Finger davonlassen. Umgekehrt genauso. Kopf und Bauch müssen einer Meinung sein.
Ihre Entscheidung, die Nachfolge anzutreten, liegt inzwischen vier Jahre zurück. War es rückblickend die richtige Entscheidung?
Nierzwiki: Auf jeden Fall. Es war noch nicht ein Tag dabei, den ich bereut habe. Das kann ich ganz sicher sagen.
Zur Hörfassung des Interviews (Kurzfassung) mit Vera Nierzwiki
Mit freundlicher Unterstützung der IHK Siegen
Stand: März 2020