Sevgi Karaman
Sevgi Karaman, Inhaberin von FISS ©  FISS

Frau Karaman, wie kam es zur Übernahme von FISS – Frankfurter Institut für Stimmstörungen & Sprachstörungen?

Karaman: FISS kannte ich bereits als Mitarbeiterin. Ich kam 2013 als freie Mitarbeiterin in die Praxis, nach meinem zweiten Werdegang mit meiner Ausbildung zur Logopädin. Die damalige Inhaberin war schon über 70 Jahre alt und hatte gesundheitliche Probleme, hatte aber ihre Nachfolge nicht geregelt. Im Team gab es langsam Unruhe, weil jeder sich Sorgen um seine Zukunft machte. Es hat jedoch keiner wirklich die Initiative ergriffen. Viele meiner damaligen Kolleginnen und Kollegen waren teilweise schon 16 oder 17 Jahre dort.

Wie haben Sie dann gehandelt?

Karaman: Ich bin proaktiv auf die Kollegin und die damalige Chefin zugegangen und habe gesagt, dass ich mir vorstellen könnte, die Praxis zu übernehmen. Dann haben wir angefangen, nach Wegen zu suchen. Trotzdem war ich etwas unsicher. Ich brachte keine Vorkenntnisse mit, weder betriebswirtschaftlich und was die Führung von Mitarbeitenden anbelangt, noch bei administrativen Aufgaben. Mir ging es nur in erster Linie darum, dass die Praxis weiterbestehen konnte. Wir haben einen guten Ruf bei Ärzten wie auch bei Patienten.

Was waren die nächsten Schritte?

Karaman: Wir haben einmal nach der Finanzlage der Praxis geschaut – und mussten feststellen, dass die Praxis über mehrere Jahre leider ein Minus erwirtschaftet hatte. Das hat mich zum Nachdenken gebracht: Ich habe mich gefragt, was ich anders als meine Vorgängerin machen muss, damit diese Praxis weiter bestehen kann. Wie ist der Markt und wonach verlangt er? Was sollten wir vom Konzept der bisherigen Praxis, Führung und Inventar alles aufrechterhalten? Was muss neu dazukommen, wie viel müssen wir investieren? Erstens war die finanzielle Lage von Bedeutung. Zweitens der Standort: Bewährt sich dieser oder sollten wir umziehen und den Namen mitnehmen? Drittens die Verträge der Mitarbeitenden. Wie gestaltet sich der Mietvertrag? Wie ist der Zulassungsprozess bei der Krankenkasse? Die Frage war auch, bleibt die Praxis nur für private Patienten offen? In der vorherigen Unternehmensform war die Praxis eine GbR, in welcher Form sollte dieses Unternehmen weiterbestehen? All diese Fragen mussten geklärt werden.

Das sind viele Herausforderungen. Wo haben Sie sich Unterstützung geholt?

Karaman: Ich hatte das Glück, bei einer unternehmerischen Initiative auf den Verein Jumpp – Ihr Sprungbrett in die Selbständigkeit – Frauenbetriebe e.V. zu treffen. Ab 2017 hat mich Frau Christine Acker von Jumpp bei der Übernahme begleitet. Die notwendigen, einzelnen Schritte sind wir gemeinsam durchgegangen. Es gab viele Veränderungen im Laufe der Zeit und viele Hürden, die mir sehr fremd waren. Das alles konnte ich wirklich nur mithilfe von bestimmten Netzwerken wie Jumpp oder im familiären Bereich, im Freundeskreis klären.

Wie haben Sie die Übernahme Ihres Betriebs finanziert?

Karaman: Die Übernahme habe ich privat finanziert. Vorab haben wir bei der Hausbank angefragt und uns nach den Bedingungen der Finanzierung durch die KfW oder sonstige mögliche Kreditgeber erkundet. Am Ende habe ich dann vor allem im elterlichen Umfeld und auch bei meinem Mann die Unterstützung gefunden, dass wir das Finanzielle privat regeln. Da die Praxis in den roten Zahlen war, muss ich meiner Vorgängerin zugutehalten, dass sie mir mit dem Kaufpreis entgegenkam. Sie war aufgrund ihrer Rente finanziell nicht auf dieses Geld angewiesen.

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf Ihren Betrieb ausgewirkt?

Karaman: Mit der Corona-Pandemie sanken natürlich die Patientenzahlen. Die Krankenkassen haben darauf reagiert und das Therapieren per Video erlaubt. Ich musste dann auf digital umstellen und habe das entsprechende Equipment, sprich Laptops, Tablets und Kopfhörer, gekauft. So waren die Patienten trotzdem versorgt, auch wenn sie nicht vor die Tür gehen konnten und die Kinder weiterhin in Therapie. Auch wir mussten umdenken: Was für Therapiematerialien bietet man digital an? Es gibt inzwischen viele Apps, die sowohl in Form von direkter Übung vor Ort stattfinden können, als auch als Hausaufgaben. Dann haben wir die entsprechende Software und weitere zusätzlichen Materialien für die Praxis angeschafft.

Sie arbeiten heute also hybrid – vor Ort und online?

Karaman: Ja, so können wir unsere Therapien in verschiedenen Muttersprachen flexibel anbieten. Schließlich therapiere ich sowohl in Türkisch als auch in Englisch, meine Kolleginnen und Kollegen in Spanisch, Portugiesisch, Serbokroatisch und Französisch. Momentan arbeite ich etwa mit einer Patientin in Karlsruhe. Ich sitze hier in Frankfurt und wir führen die Therapie über die digitale Plattform durch. Das empfinde ich als eine Bereicherung und kann mit der Patientin die Therapieziele Schritt für Schritt angehen.

Im Nachhinein, wie wichtig war für Sie der Austausch mit Jumpp für die Realisierung der Übernahme?

Karaman: Ich bin sehr dankbar, dass diese Kontakte über die Übernahme hinaus bis heute weiterbestehen. Bei Gesprächsbedarf konnte und kann ich jederzeit Hilfe und Unterstützung in Anspruch nehmen. Zum Beispiel, wenn es um Anschaffung ging, habe ich mich beraten lassen und entsprechend konnten wir das dann umsetzen. Die Netzwerke und Kontakte waren auf jeden Fall wertvoll und wichtig. Nicht nur in dieser Phase der Übernahme – quasi bei allen Hürden, die im Anschluss anstanden.

Wie geht es für Sie und FISS weiter?

Karaman: In erster Linie möchte ich die Praxis weiterhin aufrechterhalten und später an eine Nachfolgerin weitergeben. Da sind schon die ersten Schritte erfolgt. Ich habe zwei zwei junge Absolventinnen eingestellt und möchte sie so vorbereiten, dass sich vielleicht eine der beiden oder beide gemeinsam der Praxis gewachsen fühlen. Dann ist mir wichtig, dass in meinem Team ein gutes kollegiales Miteinander stattfindet und wir dadurch sowohl intern als auch nach außen unser Profil pflegen und weiter ausbauen. Ein weiteres Ziel ist, möglichst viele Kooperationspartner mit ins Boot holen. Meine Vision ist, dass FISS erfolgreich weiter besteht. Dafür sollte ich alles in Bezug auf Qualitätsmanagement – wie Fortbildungen und neue Mitarbeiter akquirieren – im Blick behalten und bei Bedarf immer wieder auf die Netzwerke zurückgreifen und Hilfe holen.

Was ist Ihr Rat an Gründerinnen und Gründer für eine Übernahme?

Karaman: In Deutschland ist die Angst vor dem Versagen immer noch hoch und eine Hemmschwelle für das Gründen oder die Übernahme. Aber man kann nur daran wachsen, ob nun die Pläne erfolgreich waren oder nicht. Man lernt dazu, warum etwas nicht funktioniert hat und kann dann wieder nach vorne blicken. Habt den Mut und habt Visionen!

Das Interview ist eine Abschrift aus dem Podcast des RKW Kompetenzentrum zum Thema „Unternehmensnachfolge – Perspektiven für Gründende mit Einwanderungsgeschichte (I)“.

Stand: Mai 2022